Warum können fossile Energieträger nicht abgeschaltet werden?

Deutschland erzeugt zu viel Energie – die Stromnetze sind überlastet. Doch von einer Abschaltung der Stein- und Braunkohlekraftwerke sieht die Regierung weiterhin ab und stellt stattdessen die erneuerbaren Energien hinten an. Warum?

  • Kohle- und Atomkraft behindern den Ökostrom in den Stromleitungen
  • Langsame Anlaufzeiten sorgen für mangelnde Flexibilität
  • Enorme Entschädigungszahlungen für nicht abgenommenen Ökostrom
Steinkohle in Indien

In Deutschland geht der Abbau von Steinkohle zurück, in Indien startet er gerade erst. (Bild: Burghard / Pixabay unter CC0 Public Domain)

Bundeskanzlerin Angela Merkel machte vor dem EEG-Gipfel in Berlin klar, wohin der Weg in Deutschland gehen muss: Bevor der exzessive Ausbau der erneuerbaren Energien vorangetrieben wird, muss der Netzausbau Anschluss finden.

Die Stromnetze in Deutschland sind massiv überlastet. Sobald der Wind im Norden weht und die Windkraftanlagen ihren Dienst verrichten, knickt das Stromnetz ein. Der Strom sucht sich seinen Weg in die Stromtrassen der Nachbarländer und sorgt für Verärgerung bei lokalen Netzbetreibern.

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Jahrhundertvertrag: Glücksfall für die sterbende Kohleindustrie

Und immer wenn die Netzauslastung ihr Maximum erreicht, werden die Windparks oder Solaranlagen vom Netz genommen – aber nicht die Atom- und Kohlekraftwerke. Die fossilen Energieträger haben in Deutschland (faktisch aber nicht rechtlich) noch immer Vorfahrt auf dem Strommarkt. Und den Betreibern der konventionellen Kraftwerke kommt das ganz gelegen.

Schuld an dem Dilemma ist auch der sogenannte Jahrhundertvertrag. Dieser wurde 1977 auf den Weg gebracht und war für die Erholung der Steinkohle-Industrie essentiell. Der Vertrag besagt, dass Stromerzeuger die einheimische Kohle bevorzugen müssen und auf billige Importkohle nur bei Engpässen zugreifen. Außerdem wurde im Jahrhundertvertrag garantiert, dass eine bestimmte Menge an Steinkohle abgenommen werden muss.

Bis 1991 wurde der Abbau-Industrie eine Menge von 40,9 Millionen Tonnen Steinkohle abgenommen, bis 1995 35 Millionen Tonnen. Kurios: Mit dem in der Steuer verankerten “Kohlepfennig” bezahlten die Bürger die Differenz zwischen der deutschen und der importierten Kohle.

Walzenschämlader

Gerade in Städten in NRW ist die Feinstaub-Belastung durch Kohle hoch. (Bild: Von http://www.eickhoff-bochum.de/de/ – Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors, CC BY-SA 3.0)

Milliarden-Subventionen aus dem europäischen Topf

Doch auch nach dem Auslaufen des Jahrhundertvertrags konnte sich die Kohleindustrie auf Subventionen und Boni verlassen. Die Europäische Union setzte sich dafür ein, dass Steinkohle mit Milliarden-Beträgen unterstützt wurde – bis heute. Zwar wurde die Höhe der Subventionierung immer weiter nach unten geregelt, doch die Steinkohle-Industrie existiert munter weiter.

Und das auf jeden Fall noch bis 2018. Dann endet die Subventionierung der Steinkohle endgültig. Oder doch nicht? Der Bundesregierung und den Landesregierungen ist sehr daran gelegen, die Kohleindustrie nicht von einem Tag auf den anderen zu begraben. Die Branche ist ein Motor der Arbeitslandschaft, sorgt deutschlandweit für tausende Jobs. Ganze Regionen in West- als auch Ostdeutschland hängen an der Steinkohle.

Das ist ein großer Unterschied zu den Anlagen der erneuerbaren Energien, die mit wesentlich weniger Arbeitskräften auskommen. Die Kohleindustrie sichert viele Jobs; und deshalb werden die Anlagen auch an wind- und sonnenreichen Tagen nicht heruntergeregelt. Es muss Geld verdient werden.

Kohleindustrie arbeitet gewinnorientiert – nicht zukunftsorientiert

Greenpeace stellte nun in einer Studie von Energy Brainpool fest, dass die Betreiber von Atom- und Kohlekraftanlagen ihre Stromerzeuger nie drosseln. Erst wenn der Kilowattpreis auf der Leipziger Strombörse (EEX) Null beträgt oder in den negativen Bereich rutscht, wird die Kraftwerksleistung heruntergefahren. Es geht um Gewinnmaximierung; und nur danach wird die Leistung der Kraftwerke angepasst.

Dabei wäre die Abschaltung von Anlagen der erneuerbaren Energien rechtlich gar nicht zulässig. Das EE-Gesetz regelt, dass Ökostrom immer Vorrang garantiert werden muss, wenn es keine netzrelevanten Gründe gibt. Dennoch wird regelmäßig abgeschaltet. Und das wird für den Endverbraucher und den Staat gleichermaßen teuer: Paragraf 15 des EEG besagt, dass Ökostromerzeuger jede verlorene Kilowattstunde zu 95 % entschädigt bekommen. Allein in Schleswig-Holstein ergab sich durch diese Regelung eine enorme Summe von rund 150 Millionen Euro.

Langsame fossile Energieträger gegen schnelle erneuerbare Energien

Ein weiterer Grund für die Bevorteilung der Kohlekraftwerke liegt in den Anlaufzeiten. Eigentlich sollen die konventionellen Anlagen einspringen, wenn der erzeugte Strom aus erneuerbaren Energien nicht ausreicht. Doch aufgrund der langen Anlaufzeiten von bis zu neun Stunden ist dieses Verfahren nicht umsetzbar. Sollte es bei Windstille und Bewölkung wirklich zu einem Engpass kommen, brauchen die Kohlekraftanlagen zu lange, um aktiv reagieren zu können. Also laufen die Anlagen kontinuierlich weiter.

Die Kohle- und Atomkraftwerke werden also weiterhin am Netz bleiben, wenn der Wind in Deutschland gerade gut steht. Solange die Kohleindustrie subventioniert wird, muss die Förderung auch gerechtfertigt werden. Es ist davon auszugehen, dass die Bundesregierung auch für die Zeit nach 2018 eine sozialverträgliche Regelung sucht, um die Angestellten in der Kohlebranche weiter zu unterstützen.

Schließung der Zeche Auguste Victoria in Marl


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